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Mit Interview

Cannabis: eine unterschätzte Gefahr

ca. 3 Minuten Lesezeit

Das Wichtigste im Überblick

  • Viele Betriebe machen sich derzeit große Sorgen über die Legalisierung von Cannabis.
  • Cannabis reduziert die Konzentration, die Merkfähigkeit und das Gedächtnissystem. 
  • Unternehmen sollten generell über Dienstanweisungen den Konsum, die Mitnahme und die Verbreitung von Alkohol, Drogen und sonstigen suchterzeugenden Substanzen im Betrieb verbieten. 
  • Interview mit Dr. Monika Vogelgesang, Chefärztin Median Klinik Münchwies. Sie steht am 18. September auf der BGHW-Fachtagung “Sicherheit und Gesundheit in Handel und Warenlogistik” Rede und Antwort zu Fragen über die Legalisierung von Cannabis.

Seit April 2024 sind der Besitz von 25 Gramm Cannabis im öffentlichen Raum sowie von 50 Gramm im privaten Raum, der Anbau von drei Pflanzen und der Konsum legal. Über die möglichen Auswirkungen am Arbeitsplatz hat HUNDERT PROZENT mit Dr. Monika Vogelgesang, Chefärztin Median Klinik Münchwies sowie Vorstandsvorsitzende des Fachverbandes Sucht, gesprochen.

Dr. Monika Vogelgesang
Dr. Monika Vogelgesang ist Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie sowie Fachärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie.

Frau Dr. Vogelgesang, haben Sie in Ihrer Klinik mal wahrgenommen, dass Cannabis am Arbeitsplatz konsumiert wird?

In der Klinik Münchwies besteht bereits seit ihrer Gründung absolutes Suchtmittelverbot auch für die Mitarbeitenden. Insofern beobachten wir bei uns keinen Drogenkonsum, Gott sei Dank. Aber viele Betriebe machen sich derzeit große Sorgen. Bei uns im Konzern kommt als Reaktion auf die Legalisierung und auch auf die gesellschaftliche Wahrnehmung als scheinbar harmlose Substanz eine neue Dienstvereinbarung mit einem absoluten Alkohol- und Drogenverbot für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am Arbeitsplatz heraus.

Welche Gefahren drohen durch Cannabis am Arbeitsplatz?

Cannabis reduziert die Konzentration, die Merkfähigkeit und das Gedächtnissystem. Es führt dazu, dass man sozial deutlich weniger kompetent wird – weil man läppisch, sonderbar gut aufgelegt wirkt, weil man mürrisch wird oder teilweise auch sehr direkt bis beleidigend. Es gibt viele vorübergehende negative Wirkungen, auch wenn noch keine Cannabissucht vorliegt. Beim chronischen Konsum entwickeln sich dann zusätzlich über die direkte Wirkung hinausgehende, dauerhafte Hirnleistungsbeeinträchtigungen: Schwierigkeiten beim Lesen, Schwierigkeiten beim Multitasking, Schwierigkeiten Gefahrensignale adäquat einzuordnen, so dass man sich risikofreudiger verhält, selbst- und fremdschädigend. Das Amotivationssyndrom, das psychologische Phänomen von Leistungsminderung und Antriebsstörung, setzt ein. Weiterhin erhöht Cannabiskonsum die Wahrscheinlichkeit eine Psychose, also eine Geisteskrankheit, zu entwickeln ganz erheblich und zerstört dadurch das Leben einer Vielzahl junger Menschen. Durch die Freigabe wurde nun das Recht auf Konsum über den Schutz vor den Schädigungen gestellt. Ein großer Teil der Bevölkerung geht davon aus, dass Cannabis nicht so gefährlich sei. Es braucht sehr viel mehr Präventionsarbeit, um dieser irrigen Auffassung entgegenzuwirken und die Gefährlichkeit dieser Droge den Menschen vor Augen zu führen.

Die Freigabe ohne vorangehende ausreichende Aufklärung vermittelt eine Verharmlosung von Cannabis und vermindert in der Bevölkerung die Hemmschwelle, diese Droge zu konsumieren.

Dr. Monika Vogelgesang, Chefärztin und Vorstandsvorsitzende des Fachverbandes Sucht

Welche Berufsgruppen sind durch den Konsum von Cannabis besonders betroffen?

Berufsgruppen mit hoher Verantwortung für Menschen oder Maschinen. Ganz extrem: Fluglotsen. Ein Polizist mit einer Schusswaffe, ein Chirurg mit einem Skalpell. Jemand, der einen Lkw fährt. Da haben viele Betriebe große Sorge. Denn beim Alkohol lässt es sich schnell überprüfen, ob jemand alkoholisiert ist oder nicht, zum Beispiel mit einem Atemtest. Beim Cannabis ist es anders. Wenn jemand am Freitag konsumiert hat, befindet sich montags immer noch der Stoff im Körper. Aus verkehrsmedizinischer Sicht gibt es keinen sicheren Wert, ob jemand im Straßenverkehr unbeeinträchtigt ist oder nicht (siehe Info-Kasten). Denn es gibt sehr große individuelle Unterschiede. Manche können viel THC zu sich nehmen und trotzdem noch relativ gut Auto fahren, andere haben deutlich weniger intus und verhalten sich dennoch viel verkehrsgefährdender.

Was ist falsch am neuen Gesetz?

Bei dem neuen Gesetz wurde der zweite Schritt vor dem ersten gemacht. Die Vorarbeiten in Richtung Prävention hätten geleistet werden müssen. Ein derart gutes Präventionsmodell wie das in Portugal lässt sich bei uns nicht erkennen. Dort wird ab frühester Kindheit ein erhebliches Augenmaß auf die Prävention gelegt und man weiß um die Gefährlichkeit der Drogen. In Deutschland beobachten wir demgegenüber eher Verharmlosungstendenzen: Man geht vielfach davon aus, dass Kiffen besser wäre als Alkohol und weniger schädlich. Unsere psychosomatische Abteilung erhält inzwischen tatsächlich im Vorfeld der Reha Anfragen von Patienten, ob in der Raucherecke auch Cannabis geraucht werden darf. 

 

Cannabiskonsum und die möglichen Folgen
 

  • Kurzfristig: reduziert die Konzentration, die Merkfähigkeit und das Gedächtnissystem, verlängert die Reaktionszeiten, erhöht die Risikobereitschaft und damit die Verletzungs- und Unfallgefahr.
     
  • Langfristig: erhöht das Risiko für Psychosen, Depressionen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie für körperliche oder psychische Abhängigkeiten und kann zu einer langfristigen bis dauerhaften Arbeitsunfähigkeit führen.
Symbol für einen informativen Hinweis

Was raten Sie Unternehmen, die den Konsum am Arbeitsplatz einschränken oder verbieten möchten?

Ein generelles Verbot über Dienstanweisungen für Konsum, Mitnahme und Verbreitung von Alkohol, Drogen und sonstigen suchterzeugenden Substanzen. Dazu zählt auch das Verbot des Erscheinens bei der Arbeit im alkoholisierten oder rauschähnlichen Zustand. Ausnahmen kann es für ärztlich verordnete Medikamente geben. Die bestehenden Vereinbarungen sollten überprüft und überarbeitet werden, so dass es auch für nun legalisierte Drogen null Toleranz am Arbeitsplatz gibt. Viele Betriebe machen sich hier gerade verstärkt Gedanken.

Gibt es noch weitere Möglichkeiten, den Konsum einzudämmen oder zu verhindern?

Verbote allein reichen nicht aus. Mehr als je zuvor brauchen wir nun eine gute Aufklärung und Prävention. Es gibt aktuell bezüglich Cannabis viele irrige Ansichten. Die Freigabe ohne vorangehende ausreichende Aufklärung vermittelt eine Verharmlosung von Cannabis und vermindert in der Bevölkerung die Hemmschwelle, diese Droge zu konsumieren. Dies wird sich auch auf die Betriebe auswirken. In der innerbetrieblichen Aufklärung sollte auf allen Ebenen über die schädlichen Folgen von Cannabis aufgeklärt werden. Das allein reicht aber noch nicht. Das A und O ist ein gutes, respektvolles und wertschätzendes Betriebsklima. In einem solchen Klima werden Kollegen, Kolleginnen und Vorgesetzte frühzeitig darauf aufmerksam, ob jemand Drogen konsumiert. Bei einem guten Betriebsklima wird einem Mitarbeitenden, der die Regeln bricht, geholfen, man lässt ihn nicht fallen. Betroffenen müssen Grenzen gesetzt werden, aber sie sollten fürsorglich behandelt werden. Nicht gleich entlassen, sondern die verbindliche Entwöhnung einfordern. Ein guter Sozialdienst kann dabei helfen. Es gibt in großen Betrieben Selbsthilfegruppen in der Arbeitszeit. Betriebssport ist auch sehr gut. Die Leute zu unterstützen, in Bewegung zu kommen, auch das ist suchtpräventiv.

 

Cannabis im Straßenverkehr
 

Der Deutsche Bundestag hat am 7. Juni neue Regeln für Cannabis im Straßenverkehr beschlossen. Demnach muss jemand, der mit mehr als 3,5 Nanogramm Tetrahydrocannabinol (THC) pro Milliliter im Blutserum am Steuer erwischt wird, mit einem Bußgeld von 500 Euro und einem Monat Fahrverbot rechnen. Das Gesetz soll im Sommer verabschiedet werden. Beim Mischkonsum von Cannabis und Alkohol droht ein höheres Bußgeld in der Regel von 1.000 Euro. Für unter 21-Jährige und in der zweijährigen Probezeit beim Führerschein besteht ein komplettes Cannabisverbot. Bisher galt die strikte Linie, dass schon beim reinen Nachweis von Cannabis bei allen Autofahrerinnen und -fahrern juristische Konsequenzen drohten. 

Symbol für einen Hinweis aus dem Gesetz

Welche Maßnahmen kann ein Betrieb bei einem Verdacht ergreifen?

Wenn jemand sich auffällig verhält, kann man denjenigen zum Betriebsarzt schicken. Unkonzentriertheit, Gedächtnis- und Aufmerksamkeitsstörungen, Fehlzeiten oder Arbeitsabbrüche sowie euphorisiertes oder enthemmtes Verhalten sind typischen Anzeichen. Aber eine genaue Mengenbestimmung von Cannabis über den Blutwert kann nicht so ohne weiteres durchgeführt werden. Das Gesetz ist unausgegoren, die Betriebe werden hier alleingelassen.

Steigt durch den gelegentlichen Cannabiskonsum das Suchtpotenzial?

Natürlich. Je einfacher der Konsum ist und je weniger Hürden ihn verhindern, desto schneller wird Sucht entstehen. [job]

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