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Gegen Gewalt: stärken, schützen, helfen

ca. 3 Minuten Lesezeit

Das Wichtigste im Überblick

  • Gewalterfahrungen am Arbeitsplatz können zu schwerwiegenden körperlichen und seelischen Schäden führen. Am wichtigsten ist die Prävention, aber auch die schnelle Hilfe nach Gewaltereignissen.
  • Die BGHW hat eine Befragung zum Thema Gewalt in Handel und Logistik durchgeführt, um bestehende Unterstützungsangebote auszubauen. Im Interview: Kathrin Schwarzmann, Arbeitspsychologin bei der BGHW. Sie stellt die Ergebnisse zusammen mit Anne Gebhardt vom IAG auf der BGHW-Fachtagung „Sicherheit und Gesundheit in Handel und Warenlogistik“ am 18. September 2024 in Dresden vor.
  • Ein neues Infoportal „Gegen Gewalt in Handel und Logistik“ der BGHW informiert Mitgliedsunternehmen und Versicherte über Angebote zur Prävention und Nachsorge. 

Gewalt am Arbeitsplatz – dabei kann es sich um verbale Attacken wie Beleidigungen, Beschimpfungen oder Bedrohungen handeln, ebenso wie um Handgreiflichkeiten oder gar um Körperverletzung. Die BGHW ist seit längerem gegen Gewalt aktiv und bietet Hilfestellung an, um ihre Versicherten zu schützen. HUNDERT PROZENT hat mit Arbeitspsychologin Kathrin Schwarzmann über die Ergebnisse einer Befragung der BGHW zum Thema Gewalt in Handel und Logistik gesprochen.

Kathrin Schwarzmann, Arbeitspsychologin bei der BGHW
Kathrin Schwarzmann, Arbeitspsychologin bei der BGHW

Gewalt erfahren häufig Einsatzkräfte von Rettungsdiensten, Feuerwehr und Polizei, Personal in Zügen und an Bahnhöfen, aber auch Beschäftigte im Einzelhandel und an Tankstellen. Was wollte die BGHW mit ihrer Befragung herausfinden?

Kathrin Schwarzmann: Mit der Befragung wollten wir belastbare Daten über Art und Umfang von Gewaltereignissen in Handel und Logistik durch betriebsfremde Personen erhalten. Zu diesen zählen zum Beispiel Kunden und Kundinnen sowie Lieferanten. Außerdem wollten wir erfahren, wie Führungskräfte und Beschäftigte mit Gewalt am Arbeitsplatz umgehen. Insgesamt haben 2786 Personen an der Befragung teilgenommen, davon waren 60 Prozent Frauen. Mehr als zwei Drittel kamen aus dem Einzelhandel, das restliche Drittel kam zu etwa gleichen Teilen aus dem Großhandel beziehungsweise aus der Logistik. Die Ergebnisse nutzen wir, um unsere Präventionsmaßnahmen passgenau weiterzuentwickeln. Denn jeglicher Form von Gewalt muss entschieden entgegengetreten werden.

 

Welchen Fokus hatte die Befragung und was ist ein zentrales Ergebnis?

Kathrin Schwarzmann: Der Fokus unserer Befragung lag auf den psychischen Gewaltereignissen wie zum Beispiel Beleidigungen, Beschimpfungen und Bedrohungen. Auch Dominanzgebaren, zum Beispiel Einschüchterung, oder das Übertreten des gebotenen Abstands fallen darunter. Verbale Attacken machen den Großteil der Fälle aus – zwei Drittel der Befragten wurden schon verbal angegangen. Betroffen sind vor allem Beschäftigte, die häufig Kundenkontakt haben. Teilweise wurde von täglichen Beleidigungen berichtet. Es wurden aber auch physische Ereignisse, also körperliche Angriffe oder Raubüberfälle miterfasst. Je gravierender die Gewalterfahrungen waren – bis hin zu körperlichen Angriffen – desto weniger häufig wurden sie berichtet. 

 

Die Auswirkungen von verbaler Gewalt werden häufig unterschätzt oder heruntergespielt. Warum sollten diese unbedingt ernst genommen werden?

Kathrin Schwarzmann: Klar muss sein, dass auch ein weniger schwerer Übergriff wie eine verbale Aggression gesundheitliche Folgen haben kann. Und man darf nicht vergessen, dass verbale Gewalt auch mal ins Handgreifliche kippen kann. Leider werden Vorfälle häufig hingenommen, verdrängt und verharmlost – aus Angst oder Scham oder weil man sich an entgegengebrachte Aggressionen vermeintlich „gewöhnt“ hat. Und der Kunde ist in vielen Betrieben immer noch König. Dabei reagiert natürlich jeder anders. Aber für jeden kommt irgendwann die Grenze, die nicht mehr kompensierbar ist und dann kann vermehrtes Stresserleben auch zu Erkrankungen führen. Das passiert dann oft schleichend, möglicherweise mit anfänglicher Aversion gegen die Arbeit, und kann sich schließlich zu Demotivation bei der Arbeit oder auch körperlichen Symptomen wie beispielsweise innere Unruhe oder Schlaflosigkeit steigern. 

 

Was kann das Unternehmen tun, um seine Mitarbeitenden zu schützen? 

Kathrin Schwarzmann: Ein wichtiger Dreh- und Angelpunkt im betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutz ist die Gefährdungsbeurteilung. Psychische Gewaltereignisse sollten in dem Teil der Gefährdungsbeurteilung mit aufgenommen werden, bei dem es um die psychische Belastung geht. Die Gefährdungsbeurteilung gibt Hinweise, ob und wo es Handlungsbedarf gibt. Daraus lassen sich dann Maßnahmen ableiten und umsetzen.  Dazu zählen zum Beispiel die Entwicklung eines Notfallplans und der Einsatz von betrieblichen psychologischen Erstbetreuenden, die sich um Betroffene nach einem Gewaltereignis unmittelbar kümmern. Die BGHW hat für ihre Ausbildung auch ein Förderprogramm aufgelegt. 

Ob das Verhalten von Kunden und Kundinnen oder anderen betriebsfremden Personen verletzend ist oder nicht, entscheiden die betroffenen Mitarbeitenden selbst und niemand anderes.

Kathrin Schwarzmann
Illustration, die eine Kassiererin an einer Supermarktkasse zeigt, vor ihr steht ein entnervter Kunde
Kassiererinnen und Kassierer im Einzelhandel sind immer wieder verbalen Attacken der Kunden ausgesetzt.

Und was sollten Beschäftigte wissen?

Kathrin Schwarzmann: Viele Beschäftigte glauben, dass der Umgang mit unangemessenem Kundenverhalten nun mal zum Job gehört. Grundsätzlich aber gilt: Ob das Verhalten von Kunden und Kundinnen oder anderen betriebsfremden Personen verletzend ist oder nicht, entscheiden die betroffenen Mitarbeitenden selbst und niemand anderes.  Aussagen wie „Stell Dich nicht so an“ von Vorgesetzten oder Kolleginnen und Kollegen sind ebenso unangemessen wie das übergriffige Kundenverhalten selbst. Betroffene sollten sich im Betrieb Hilfe holen und Vorfälle melden. Auch zu wissen, wie man sich in Konfliktsituationen kommunikativ und deeskalierend verhalten kann, ist nützlich. Hierfür stellt die BGHW zum Beispiel Medien wie einen Kartenaufsteller mit vielen Tipps und praktischen Hinweisen zur Verfügung. 

 

Welche weiteren Unterstützungsangebote bietet die BGHW an?

Kathrin Schwarzmann: Unser neues Infoportal „Gegen Gewalt in Handel und Logistik“ informiert Mitgliedsunternehmen und Versicherte der BGHW über Angebote zur Prävention und Nachsorge. Zunächst gilt es zu ermitteln, wo und in welcher Form Gewalt im eigenen Betrieb vorkommt. Hierfür ist die bereits angesprochene Gefährdungsbeurteilung das zentrale Instrument. Die BGHW gibt Unternehmen im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung online (GBO) bereits den Baustein „Kundenkontakt – Bedrohungen und Übergriffe“ an die Hand sowie die Handlungshilfe „PegA“ zur Erfassung der psychischen Belastung. Danach gilt es, Schutzmaßnahmen präventiv nach dem TOP-Prinzip umzusetzen: technische Maßnahmen stehen vor organisatorischen und diese wiederum vor personenbezogenen Maßnahmen. Hierzu beraten die Aufsichtspersonen der BGHW. Daneben gibt es zahlreiche Seminare und Infomaterialen für Betriebe, auch speziell zum Thema „Überfall“. Sehr zu empfehlen ist auch unser interaktives Angebot „Der sichere Supermarkt“.

Über die Befragung zu Gewalt in Handel und Logistik

Die BGHW hat eine Online-Befragung vom 10. Juni bis 30. November 2022 bei insgesamt 2786 Versicherten durchgeführt. Sie umfasste insgesamt 51 Fragen, davon 24 Fragen zur Arbeitssituation hinsichtlich verbaler und physischer Gewalt, 19 Fragen zur Einschätzung von Präventionsmaßnahmen sowie zu acht zu betrieblichen Faktoren. Die Erhebung der Daten erfolgte durch das Institut für Arbeit und Gesundheit der DGUV (IAG). 

Weiterführende Informationen zu den Befragungsergebnissen und allen Unterstützungsangeboten der BGHW zum Thema Gewaltprävention und Nachsorge finden Sie auf unserem Infoportal „Gegen Gewalt in Handel und Logistik“.

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Arbeits- und Organisationspsychologin bei der BGHW

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