Händeringend suchen kleine und mittlere Unternehmen Personal. Gleichzeitig gibt es Stimmen aus der Industrie, der Fachkräftemangel sei momentan kein großes Problem, stattdessen werden aufgrund der Rezession Stellen abgebaut. Was ist dran am Fachkräftemangel?
Das ist so wie beim Klima und dem Wetter. Was ist temporär, was ist strukturell? Temporär haben wir eine Rezession und jene Branchen ein Problem, die während der Coronazeit erfolgreich waren. Die Industrie betont häufig, sie werde noch lange keinen Fachkräftemangel haben, weil sie im Zweifelsfall besser bezahlen und bessere Arbeitsbedingungen bieten kann als Branchen wie die Pflege oder die Logistik. Wir müssen grundsätzlich unterscheiden zwischen einem Arbeitskräftemangel und einem Fachkräftemangel. Auf Dauer müssen wir von einem Mangel an Arbeitskräften ausgehen. Ich befürchte schon lange, dass wir in Deutschland den Höhepunkt der Beschäftigung erlebt haben. Denn alles, was in Großserie produziert wird wie Telefone oder auch Autos, wird für deutsche Unternehmen schwieriger werden. Was bleibt, ist der Maschinen- und Anlagenbau, wo man eine überschaubare Stückzahl mit großer Varianz herstellt. In diesem Bereich werden gut ausgebildete Fachkräfte benötigt. Und was bleibt noch? Natürlich die Logistik. Wir benötigen sie, um die Bevölkerung zu pflegen und zu versorgen.
In der Logistik wird Personal dringend benötigt. Wie sollte die Branche reagieren?
Seit ein paar Jahren verlassen etwa 80.000 Menschen monatlich den Arbeitsmarkt und etwa die Hälfte davon tritt neu ein – auch durch Migration. Die Hälfte der Arbeitskräfte wird also nicht ersetzt. Es gibt gute und sinnvolle Ansätze, darauf zu reagieren. Zum Beispiel können wir alle länger arbeiten, um den Arbeitsmarkt zu entlasten. Das klappt vielleicht bei akademischen Berufen. Aber wollen Sie mit 67 noch Mülltonnen im Winter schleppen oder im Lager in der Nachtschicht Waren kommissionieren? Das wollen wir beide nicht. Ein gutes Mittel gegen den Arbeitskräftemangel in der Logistik ist die Robotik. Damit meine ich aber nicht die klassischen Roboter, die wir heute kennen und die nur einfache und simple Dinge erledigen.
Sondern welche?
Wir müssen besser darin werden, den Engineering-Aufwand für komplexe Dinge geringer zu halten. Noch sind die Prozesse streng standardisiert. Zum Beispiel darf an Paletten nichts raushängen oder überstehen, erst dann kann der Roboter seine Befehle automatisch ausführen. Der Vorbereitungsaufwand muss kleiner, die Programmierung schneller werden. Zukünftig wird der Mensch dem Roboter etwas zeigen und dieser es dann sofort imitieren. Die Reise geht dahin, dass der Mensch nur noch sagt, was er haben will, der Roboter findet dann mithilfe Künstlicher Intelligenz selbst heraus, wie das geht.
Was bedeutet das für die Logistik?
Ich sehe, dass wir die Logistik noch besser automatisieren können – vor allem bei weniger großen Volumina und weniger häufig sich wiederholenden Abläufe und hohen Aufwendungen für die Inbetriebnahme. Mithilfe der neuen Robotik können wir ein Logistiksystem schaffen, indem die Kosten für die Hardware vielleicht um zehn Prozent steigen, aber die Kosten fürs Engineering weitgehend wegfallen.
Und was passiert auf der sogenannten letzten Meile?
Das ist ein spannendes Thema. In dem Projekt UNICARagil auf dem Efeu Campus in Bruchsal testen wir mit großen und kleinen automatisierten elektrischen Fahrzeugen, wie das im urbanen Raum funktionieren könnte. Also in den Vorstädten im Grünen, wo Kilometer zurückgelegt werden müssen, um Briefe oder Pakete direkt auszuliefern. Ein Konzept beinhaltet ein System mit Übergabe- oder Packstationen. Das funktioniert verkehrstechnisch sehr gut. Sobald das fahrerlose Transportsystem die Stationen beliefert hat, erhält der Adressat eine Nachricht, dass er seine Sendung an der Station abholen kann. Auf diesen kleinen Distanzen sind die fahrerlosen Transportsysteme mit einer Geschwindigkeit von fünf Stundenkilometer unterwegs und fahren sicherer als jeder Postbote. Deswegen glaube ich, mithilfe der Robotik schaffen wir auch die letzte Meile. Wir müssen nur noch überlegen, wie wir das in die Straßenverkehrsordnung und in die Planung von Siedlungen integrieren. Technisch ist das alles lösbar.
Auch auf den Bahnschienen?
Ja, natürlich! Dafür benötigen wir aber eine Infrastruktur mit guter Funkverbindung. Dann funktionieren fahrerlose Transportsysteme auch auf Bahnschienen. So wie in Paris oder in Denver. In Deutschland setzen wir aber immer noch auf alte statt auf neue Technologien, die viele Dinge sicherer und erheblich besser machen als Menschen.
Warum tun wir das nicht?
Weil wir aktuell wahnsinnig gut darin sind zu sagen, was uns alles nicht schmeckt. So blockieren wir uns gegenseitig. Ich wünsche mir, dass wir mehr Kraft, mehr Mut und mehr Zeit dafür verwenden, ein gemeinsames Bild von der Zukunft zu entwerfen. Dazu gehört auch ein klares Ziel. Wo wollen wir hin? Wollen wir mehr Wirtschaft? Mehr Hochleistung? Mehr Technik? Das ist eine Aufgabe, an der wir uns alle beteiligen sollten.
Dr. Kai Furmans ist Professor für Logistik und Materialflusstechnik am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und wird auf der Fachtagung „Sicherheit und Gesundheit in Handel und Warenlogistik“ in Dresden am 16. September über das Thema „Robotik in der Logistik – Lösung des (Fach)-Kräfteproblems“ referieren.