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Mit Interview

Psst … Bitte mehr Ruhe!

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Das Wichtigste im Überblick

  • Lärm kann man nicht Pegeln messen, für die Bewertung von Lärm ist die individuelle Reaktion maßgebend.

  • Lautstärke wird nicht immer als Lärm wahrgenommen, selbst wenn sie über einen gewissen Lautstärkepegel hinausgeht.

  • Viele Wohlstandskrankheiten hängen mit Lärm zusammen. Zum Beispiel: erhöhter Blutdruck, Herzkrankheiten, Diabetes oder Fettleibigkeit. 

  • Das Expertinnengespräch über Lärm und Lautstärke mit Prof. Dr. Brigitte Schulte-Fortkamp und Prof. Dr. Anna-Maria Addicks.

Es bimmelt, knattert, brummt und dröhnt fast überall – unser Alltag ist laut geworden. Aber ist das auch Lärm? Was empfindet der Mensch eigentlich als Lärm und wie sollte er damit umgehen? Die Psychoakustikerin Prof. Brigitte Schulte-Fortkamp und die Neurologin Prof. Anna-Maria Addicks im Gespräch über unangenehme Geräusche, die auch krank machen können.

Anna-Maria Addicks: Schön, Sie kennenzu­lernen, Frau Schulte-Fortkamp. Ich habe gerade in unserer me­dizinischen Datenbank das Schlag­wort noise perception (dt. Ge­räuschwahrnehmung) eingegeben und fast nichts gefunden. Das The­ma wird offensichtlich von der Me­dizin nicht sehr intensiv beleuchtet.

Brigitte Schulte-Fortkamp: Ich kann aus der Sicht als Psycho­akustikerin gut daran anschließen. Lärm ist eine interessante Kate­gorie, aber ich vertrete die These, man kann ihn gar nicht in Pegeln messen. Das sind Determinanten, die wir aus der Normung kennen. Sie sind aber kein guter Advokat, um ein Geräusch zu messen, das uns stört und unterbricht. Lärm ist eher eine psychologische Größe. Denn für die Bewertung von Lärm ist die individuelle Reaktion maß­gebend, also ob jemand dadurch nervös, gestresst, gegebenenfalls sogar krank wird. Die individuelle Verarbeitung von Schall ist viel re­levanter. Wir kennen alle das Bei­spiel mit der Mücke. Ihr Summen unterbricht unseren Schlaf und bestimmt unsere Handlungen. Es vermittelt das Problem, gestochen zu werden. Der Kontext spielt also eine wichtige Rolle, wenn wir über unerwünschte Geräusche reden.

Lärm kann man in Pegeln gar nicht messen.

Prof. Dr. Brigitte Schulte-Fortkamp
Prof. Dr. Brigritte Schulte-Fortkamp
Prof. Dr. Brigritte Schulte-Fortkamp ist emeritierte Professorin für Psychoakustik an der TU Berlin. Sie gehört zu den Vordenkerinnen der Soundscape-Forschung – einer Disziplin, die akustische Umgebungen im Kontext ihrer Wahrnehmung untersucht.

Anna-Maria Addicks: In der Tat ist entscheidend, was der Filter in un­serem Gehirn als Lärm durchlässt und damit als unangenehm in unser Bewusstsein dringen lässt – und was eben nicht. Lautstärke wird nicht immer als Lärm wahrgenommen, selbst wenn sie über einen gewis­sen Lautstärkepegel hinausgeht. Zum Beispiel empfindet der Musiker Lautstärke im Rahmen seiner Ar­beit sicher weniger oft als Lärm als andere Menschen, die laute Beru­fe ausüben. Es ist kein Lärm, wenn man im Orchestergraben sitzt und Wagner spielt. Das ist aber ein gro­ßes Problem der Musik. Wenn der Schallpegel hoch ist, schädigt er natürlich das Gehör. Musiker soll­ten genauso einen Gehörschutz tra­gen wie jeder Straßenarbeiter, der eine Asphaltdecke aufstemmt. Aber Musiker davon zu überzeugen, ist schwierig. Viele haben nicht das Be­wusstsein, dass Lärm etwas Schäd­liches sein kann. Es gibt natürlich viele Musiker, die das verstehen. Es gibt auch große Vorbehalte und Bedenken. Die dämpfende Wirkung von Gehörschutz führt natürlich zu einem veränderten Höreindruck der Musik. Zum Beispiel der einzelnen Stimmen eines Orchesters, die ja möglichst exakt gehört werden sol­len, um gut zusammenspielen zu können. Das Gehirn kann sich zwar daran gewöhnen, aber es bleibt die Besonderheit, dass der in der Musik gehörschäd­liche Schall mit all seinen Feinhei­ten und Nuancen Inhalt und Zweck der Arbeit und sein Dämpfen mit Sorgen verbunden ist.

Brigitte Schulte-Fortkamp: Das erinnert mich an unsere ersten Untersuchungen in Druckereien zum Maschinenlärm, der Gehör­schäden hervorruft. Es gab bei den Druckern seinerzeit großen Wider­stand, Gehörschutz zu tragen. Das habe ich damals nicht verstanden. Das Verständnis für die Bedeutung und Wertigkeit des Gehörs musste sich erst schrittweise entwickeln. Genauso wie die Bereitschaft, da­rüber zu reden. Denn wer spricht schon gern über Schwächen und Einschränkungen?
 

Alle möglichen Wohlstandskrankheiten hängen mit Lärm zusammen.

Prof. Dr. Anna-Maria Addicks
Prof. Dr. Anna-Maria Addicks
Prof. Dr. Anna-Maria Addicks ist Fachärztin für Neurologie und Neurogeriatrie und Professorin für Musikergesundheit an der Musikhochschule Detmold.

Anna-Maria Addicks: Aber wir müs­sen über die körperlichen und seelischen Folgen sprechen. Es gibt eine gewisse Lautstärke, auch wenn sie nicht als Lärm empfun­den wird, die Gesundheitsschäden verursacht. Zum Beispiel die an­dauernde Lärmkulisse einer Haupt­verkehrsstraße. Wenn jemand in der Nähe einer solchen Straße lebt, führt die ständige Beschallung zu einem erhöhten Erregungsniveau des Nervensystems als wäre man in dauernder Habachtstellung, und das löst im Gehirn Stress aus, was wiederum zu erhöhtem Blutdruck führt und Herzkrankheiten, Di­abetes oder Fettleibigkeit wahr­scheinlicher macht. Alle möglichen Wohlstandskrankheiten hängen mit Lärm zusammen. Für die Er­krankung der Herzkranzgefäße gibt es stichhaltige Daten, die einen klaren Zusammenhang zu chroni­scher Schallbelastung aufzeigen. Die Wahrscheinlichkeit für diese Erkrankung steigt mit jedem Schritt von 10 Dezibel der Lärmbelastung. Und das betrifft etwa 20 Prozent der Bevölkerung in Europa.

Brigitte Schulte-Fortkamp: Ich habe ein Problem damit, wie man im Kontext von Lärm über Krank­heiten und psychische Belastun­gen spricht. Wenn man Probleme aufzeigt, muss man auch Lösungen anbieten. Deswegen haben wir in den 1990er-Jahren mit der Sound­scape-Forschung angefangen und aufgezeigt, wie man Situationen schafft, in denen Menschen über ihre Lebensräume nachdenken, sie gemeinsam umgestalten und verändern, um die akustische Si­tuation in ihren Wohngebieten mit Hauptverkehrsstraßen zu verbes­sern. Zum Beispiel durch Lärm­schutzfenster oder Fassadenbe­grünungen. Wir brauchen nämlich eine Allianz von Lärmbetroffenen und den Expertinnen und Exper­ten, die technisch versiert sind.

 

der Bevölkerung in Europa sind von den gesundheitlichen Folgen von Lärm betroffen.

Anna-Maria Addicks: Ich gebe Ih­nen recht: Man darf die Menschen nicht vor den Kopf stoßen, indem man ihnen sagt, das geht so nicht, weil es dich krank macht. Stattdes­sen müssen wir mehr über Ansät­ze nachdenken, die Lärmkulissen vermeiden, Schallquellen abmil­dern und Reize für das Gehirn re­duzieren. Zum Beispiel durch die Abwesenheit von Geräuschen an der richtigen Stelle und zur richti­gen Zeit. Damit kann jeder schon im Privaten beginnen, indem man Lärm vermeidet oder sich in ruhige Räume zurückzieht. Beispielsweise während einer Ruhepause, die auch die Lärmschutzverordnung vorsieht. Denn Ruhe ist etwas Gutes.

Brigitte Schulte-Fortkamp: Das un­terstütze ich total. Ruhe ist wichtig für die Entspannung und für die Ausgeglichenheit. Die Ruhe um­mantelt alle Sinne und schützt uns vor unangenehmen Dingen. Diese Ruhezonen sollten wir uns alle in der Freizeit und im Beruf schaffen, damit wir uns vor den belastenden Geräuschen zurückziehen können. [sie]

 

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Psst … bitte mehr Ruhe!

Es bimmelt, knattert, brummt und dröhnt fast überall – unser Alltag ist laut geworden. Aber ist das auch Lärm? Was empfindet der Mensch eigentlich als Lärm und wie sollte er damit umgehen? Die Psychoakustikerin Prof. Brigitte Schulte-Fortkamp und die Neurologin Prof. Anna-Maria Addicks im Gespräch über unangenehme Geräusche, die auch krank machen können.

Redaktion "Hundert Prozent"

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