Das Wichtigste im Überblick
- Der Lokalreporter Peter Hagen wurde in den Jahren 2022 und 2023 angepöbelt, tätlich angegriffen und sogar mit Mord bedroht.
- Sein Arbeitgeber, die Funke Mediengruppe, hat darauf reagiert und die ersten Psychologischen Erstbetreuenden ausgebildet.
- In einem zweitägigen Workshop werden die Teilnehmenden in die Aufgaben eines Psychologischen Erstbetreuenden eingewiesen und so geschult, dass sie den Betroffenen helfen können.
- Eine Reportage aus Gera und Berlin mit Video-Statements.
Wer kümmert sich um Journalistinnen und Journalisten, die angepöbelt, attackiert oder sogar mit Mord bedroht werden? Das ist dem Lokalreporter Peter Hagen passiert. Sein Verlag hat ihm geholfen. Zukünftig werden das in der Funke Mediengruppe die Psychologischen Erstbetreuenden übernehmen.
Peter Hagen ist seit 40 Jahren Lokalreporter in Thüringen. Er macht das gern: Er kennt die Menschen im Saale-Orla-Kreis und schreibt für die Ostthüringer Zeitung über ihre Vorlieben, ihre Sorgen und ihren Alltag. Er berichtet auch über die Lokal- und Landespolitik, die sich radikal verändert hat. Das hat er hautnah zu spüren bekommen. Es beschäftigt ihn noch heute. Im August 2022 erlebte Hagen erstmals, dass er einen gefährlichen Beruf hat: Der damalige Bürgermeister von Bad Lobenstein attackierte ihn öffentlich auf dem Marktplatz und zerstörte seine Kameraausrüstung. Der Bürgermeister wurde suspendiert, angezeigt und abgewählt. „So etwas von einem Amtsträger zu erleben, hat mich sehr schockiert“, erzählt Hagen, der über die Kontakte des parteilosen Politikers zu Reichsbürgern recherchiert hatte.
Beschimpft, geschlagen, bedroht
Doch dieses Ereignis war nur ein Vorspiel. Nach einer AfD-Veranstaltung in Plothen im November 2023 wurde er zunächst als „Ratte“ beschimpft, dann wurde er am Hinterkopf geschlagen und ihm dabei seine Baseballmütze vom Kopf gezogen. „Als ich anschließend in mein Auto einstieg, hörte ich beim Anfahren ungewöhnliche Geräusche. Beim Nachschauen bemerkte ich in allen vier Reifen Schrauben, die teils bis zum Kopf im Gummi versenkt waren.“ Eine Weiterfahrt wäre womöglich lebensgefährlich geworden. Zwei Stunden später wurde sein Auto abgeschleppt. Noch heute ist Hagen von diesem Anschlag ergriffen. Seine Stimme ist gebrochen, er ist den Tränen nah, als er in der Hauptredaktion der Ostthüringer Zeitung in Gera das extreme Erlebnis nochmals schildert.
Eine neue Situation, eine neue Qualität
Neben ihm sitzt sein Chefredakteur Nils R. Kawig. Ein langjähriger Kollege, dem Hagen noch am selben Abend die Ereignisse erzählte. „Er beruhigte mich und sagte mir zu, dass der Verlag alle Kosten übernehmen werde. Es waren schließlich vier neue Winterreifen.“ Aber Kawig machte nicht nur das. Er tat das, was ein Journalist tut, und machte in seiner Zeitung den Angriff auf seinen Redakteur publik. Unmittelbar darauf erhielt Kawig per Mail eine Morddrohung, die an Peter Hagen gerichtet war. „Das war eine neue Situation, eine neue Qualität“, sagt der Chefredakteur. Er informierte das Innenministerium, das Landeskriminalamt sowie den Verfassungsschutz. Die Behörden reagierten sofort: Der Innenminister versprach persönlich, der Redaktion zu helfen. Das Landeskriminalamt organisierte Info-Veranstaltungen, stellte den Journalisten und Journalistinnen der Ostthüringer Zeitung Maßnahmen und Regeln vor, um sich zukünftig vor Angriffen und Pöbeleien bei Massenveranstaltungen zu schützen. „Das war sehr wichtig für uns, weil wir spürten, dass wir nicht allein sind“, betont Kawig. Von seinen Kolleginnen und Kollegen erhielt Peter Hagen in dieser Zeit viele positive, mutmachende Mails und Posts: „Das hat mich aufgebaut, weil ich merkte, dass wir bei Funke Medien eine große Familie sind.“
Ein klassischer Arbeitsunfall
In der Essener Zentrale der Funke Mediengruppe, zu der die Ostthüringer Zeitung gehört, war ein Mann besonders alarmiert, als er das erste Mal von den Thüringer Ereignissen hörte: Guido Burckert, Leiter für Arbeitssicherheit, Gesundheit und Brandschutz. „Ich war erschrocken, weil es mir deutlich gemacht hat: Die Mitarbeitenden wussten gar nicht, dass es sich hierbei um einen klassischen Arbeitsunfall gehandelt hat. Man hat vor Ort viele gute Dinge initiiert, aber nicht die Arbeitssicherheit miteingebunden, weil man nicht wusste, wie man damit umgeht.“ Burckert nahm direkt Kontakt mit der Aufsichtsperson der BGHW auf und meldete nach Rücksprache mit Peter Hagen den Vorfall als Unfall bei der Berufsgenossenschaft.
Nicht therapieren, sondern helfen
Mithilfe der BGHW hat der Sicherheitsingenieur die Ausbildung betrieblicher psychologischer Erstbetreuerinnen und Erstbetreuer bei der Funke Mediengruppe ins Leben gerufen. Die speziell geschulten Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sollen Kolleginnen oder Kollegen wie Peter Hagen helfen, ein extrem belastendes Ereignis gut verarbeiten zu können, indem sie nicht alleingelassen werden. Damit soll die Lücke zwischen dem traumatischen Ereignis und der psychologischen Soforthilfe der BGHW geschlossen werden. „Es geht nicht darum, dass die Psychologischen Erstbetreuenden die Betroffenen therapieren sollen“, sagt Burckert, „sondern dass sie nach einem extremen Vorfall die festgelegten Maßnahmen sowie den Fahrplan kennen und die BGHW informieren, damit dem oder der Betroffenen schnellstmöglich geholfen wird. Ebenso wichtig ist, dass sie ein Gefühl dafür entwickeln, wie sie mit Betroffenen kommunizieren müssen.“
Der Rolle gewachsen?
Inzwischen ist die Ausbildung gestartet. Sie wird von der BGHW bezuschusst (mehr dazu in der Geschichte „Schutzengel für die Psyche“). Die Resonanz ist groß. Die ersten psychologischen Erstbetreuerinnen und Erstbetreuer sind ausgebildet. Für die Mitarbeitenden aus Thüringen und Berlin findet der zweitägige Workshop in den Räumen der Berliner Zentrale von Funke Medien statt. Verena Märtens, Head of Content Management Partnerships & Program Planning, hat an einem teilgenommen: „Es war mir superwichtig, dass wir unseren Kolleginnen und Kollegen bei psychologischen Extremfällen Anlaufstellen bieten. Jetzt weiß ich, wie ich Betroffenen mit konkreten Maßnahmen schnell Hilfe leisten kann.“ Ein wichtiges Ziel des Workshops: „Es ist immer wieder beeindruckend zu sehen, wie die Teilnehmenden am ersten Tag voller Vorfreude und Neugierde in den Workshop starten und sich fragen, ob sie der Rolle eines betrieblich Psychologischen Erstbetreuenden gewachsen sind“, berichtet die psychologische Beraterin Yvonne Volkmar, die die Workshops in Berlin leitet. „Und am Ende des zweiten Tages erleben sie, wie sie alle Fähigkeiten und Kompetenzen für diese Rolle in sich haben – ein großartiges Gefühl.“
Reden, helfen, achtsam werden
Auch Chefredakteur Nils R. Kawig hat sich für die Ausbildung zum Psychologischen Erstbetreuenden angemeldet. Das Ziel ist es, dass an allen 19 Standorten der Funke Mediengruppe Thüringen die Psychologischen Erstbetreuenden präsent sind. Der Fall Peter Hagen hat ihm deutlich gemacht: „Wir müssen achtsamer werden. Auch Journalistinnen und Journalisten dürfen traumatische Erlebnisse nicht in sich hineinfressen. Wir müssen darüber reden und helfen. Sonst wird es zur Last für die Seele.“ [sie]
Die Funke Mediengruppe
Als eines der größten Medienhäuser Deutschlands konzentriert sich die Funke Mediengruppe auf drei Geschäftsfelder: Regionalmedien, Zeitschriften und digitale Angebote für die gesamte Mediengruppe und ihre Kunden. Der Ursprung von Funke ist die Westdeutsche Allgemeine Zeitung, die Jakob Funke und Erich Brost 1948 gegründet haben.