Das Wichtigste im Überblick:
- Die schnelle Warenlieferung per Fahrrad wird immer beliebter in den Städten – bringt jedoch ein hohes Aufkommen an Arbeitsunfällen im Straßenverkehr mit sich.
- Mit Fahrrad-Crashtests am IFA hat die BGHW eine eigene Untersuchungsreihe zu diesem Phänomen gestartet.
- Weitere Projekte zur Förderung der Sicherheit der Beschäftigten der Lieferdienste sind in Arbeit.
Der Trend zur schnellen Warenlieferung per Fahrrad bringt ein hohes Aufkommen an Arbeitsunfällen mit sich. Mit Fallversuchen mit Fahrrädern und weiteren Aktivitäten trägt die BGHW zu mehr Sicherheit für die Beschäftigten der Lieferdienste bei.
Schnelllieferdienste haben sich in den vergangenen Jahren zu einer Wachstumsbranche entwickelt. Befeuert worden ist der Boom durch immer neue Anbieter, ein immer größeres Angebot und nicht zuletzt die Corona-Pandemie. So hat sich die zeitnahe Versorgung mit Lebensmitteln und anderen Dingen des täglichen Bedarfs per Fahrrad, Pedelec oder auch Elektroroller immer weiter in den deutschen Städten etabliert.
Aktuell wächst dieser Markt nicht mehr so stark. Dennoch: Mit dem hohen Lieferaufkommen – die jährlichen Umsätze der Branche haben sich seit 2019 verdoppelt – geht eine immer größere Präsenz der „Rider“, also der Lieferboten auf Fahrrädern, im Straßenverkehr einher. Und damit leider auch eine enorme Zunahme von Arbeitsunfällen.
Viele Arbeitsunfälle in einer neuen Branche
Robert Zimmermann, Martin Wuttke und Stefan Raßmann befassen sich für die BGHW bereits seit November 2021 mit der Branche: „Mit dem Aufkommen der Schnelllieferdienste – gerade in Berlin als Hotspot für diese Unternehmen – sind die Unfallzahlen unheimlich schnell gestiegen. Wir haben uns gefragt, wie die Unfälle verursacht werden und welche Möglichkeiten es gibt, zur Unfallvermeidung beizutragen.“, erklärt Robert Zimmermann. Um belastbare Daten zu erhalten, hat die BGHW Anfang des Jahres 2022 verschiedene Aktivitäten wie Forschungsaufträge, Kooperationen mit Hochschulen, Trageversuche mit Protektoren und Erprobung von digitalen Sicherheitsanwendungen gestartet. Die Ergebnisse sollen den Unternehmen helfen, die Sicherheit für ihre Rider zu verbessern. Der BGHW ermöglichen sie, ihre Präventionsarbeit zielgenau auszurichten.
Gemeinsame „Fallversuche mit Fahrrädern“ mit dem IFA
Als Partner für eine erste Versuchsreihe kooperiert die BGHW dabei mit dem Institut für Arbeitsschutz der DGUV (IFA). In den Laboratorien des IFA in St. Augustin bei Bonn wurde Anfang Juli 2022 eine Versuchsanordnung mit einem Dummy realisiert, um Fallverhalten und Aufprallpunkte zu studieren und die auf den Körper einwirkenden Belastungen zu messen. Für möglichst realistische Bedingungen stellten zwei Unternehmen ein typisches Fahrrad, eine Transportbox, einen Lieferrucksack und Arbeitskleidung zur Verfügung.
Der Dummy wurde auf dem Fahrrad fixiert. Transportbox bzw. Rucksack wurden mit Gewichten belastet und so der alltägliche Einsatz simuliert. Dann wurde das Testobjekt zu Fall gebracht und dabei mit hochauflösenden Kameras gefilmt. Mit einer Kraftmessplatte wurde die Stärke des Aufpralls gemessen.
Möglichst realistische Bedingungen
Für Kevin Zimnik, Prüflaborleiter im Bereich 5.4 „Arbeitsmittel, Bauprodukte, mechanische Schutzausrüstungen“ des IFA, war der Fallversuch bei aller Erfahrung schon etwas Besonderes. So waren allein drei Tage Vorbereitung nötig, um in der Testanordnung der Realität möglichst nahezukommen: „Wir überlegen zunächst, welches Szenario wir abdecken wollen, und was wir realistisch umsetzen können. Es geht darum, vergleichende Aussagen treffen zu können.“
Aus diesem Grund wurden alle Teilversuche – mit oder ohne Rucksack, Schutzkleidung, Transportbox – mehrmals durchgeführt, so Zimnik weiter: „Wir wollen Eindrücke erhalten, wie sich die Unterschiede auswirken. Wenn der Rider die Last im Rucksack hat, dreht er sich vielleicht im Sturz zur Seite? Ist es eventuell besser für ihn, wenn er auf den Rücken und damit auf den Rucksack fällt?! Um erste Erkenntnisse zu generieren, ist das schon mal gut.“
Weitere Schritte für mehr Sicherheit
Die Auswertung der Messdaten der Fallversuche hilft die Szenarien zu vergleichen. Robert Zimmermann zeigte sich zuversichtlich, einen guten ersten Schritt gemacht zu haben: „Mit einer belastbaren Datenerhebung können wir dazu beitragen, die Sicherheit der Rider zu steigern. Wir sammeln Erkenntnisse, um in den Firmen zum Beispiel dafür zu werben, bestimmte Lastenträgersysteme zu verwenden.“
Laut Robert Zimmermann sind die Versuche am IFA nur ein kleiner Teil einer Reihe von Aktivitäten der BGHW, um die Sicherheit der Rider zu verbessern. So wird in Kooperation mit verschiedenen Hochschulen für Produktdesign untersucht, ob und wie sich Transport- und andere Arbeitsmittel der Rider für den Arbeitsalltag optimieren lassen. Die BGHW bietet auf die Branche zugeschnittene Verkehrssicherheits-Trainings an. In Trageversuchen mit Gelenkprotektoren erproben Rider, ob ein Einsatz im Alltag realistisch ist. Bei einem Unternehmen können die Rider ein appbasiertes Notrufsystem testen. In Vorbereitung befinden sich Forschungsprojekte zur arbeitsmedizinischen Beurteilung der Tätigkeit der Rider.
Quo vadis, Schnelllieferdienste?
Ein Teilprojekt beschäftigt sich mit einer ganzheitlichen Betrachtung des Phänomens „Schnelllieferdienste“: „War das nur ein kurzfristiger Trend, der von der Pandemie profitiert hat? In welche Richtung wird sich die Branche weiterentwickeln? Welche Bereiche des Handels sind noch betroffen? Wie verändern diese Services das Konsumverhalten der Menschen insgesamt?“, benennt Robert Zimmermann einige der Fragen, die in diesem Zusammenhang beantwortet werden sollen.
Basierend auf den Erkenntnissen aus den Fallversuchen sollen weiterführende Untersuchungen geplant werden. In einem nächsten Schritt könnten Simulationen oder dynamische Fallversuche – ähnlich den Crashtests bei Autos – dem realen Unfallgeschehen im Straßenverkehr noch näher kommen. Alles mit dem Ziel, die Arbeit der Beschäftigten der Schnelllieferdienste sicherer zu machen.