Das Wichtigste im Überblick
- Der Klimawandel wirkt sich auf die Gesundheit der Beschäftigten aus und stellt große Anforderungen an den Arbeitsschutz.
- Viele Berufe sind betroffen, das Risikobewusstsein hingegen ist recht gering.
- Neben Hitze, Trockenheit, Stürmen und Starkregen nimmt auch die UV-Bestrahlung zu.
- Für den Notfall sollten im Betrieb immer genügend Ersthelfer präsent sein, um bei Sonnenstich, Übelkeit oder Kreislaufbeschwerden Erste Hilfe zu leisten.
- Infografik „Aufgepasst bei Sonne und Hitze“ zum Download.
Der Klimawandel ist da! Das zeigen Hitzewellen, Dürren und Waldbrände sowie Starkregen und Flutkatastrophen wie im Ahrtal 2021. Allein in Deutschland sind deswegen schon Millionen Arbeitsstunden ausgefallen, weil die Hitze die Beschäftigten krank macht. Aber wie kann man nur gesund und sicher arbeiten, wenn es richtig heiß wird?
Für Arbeitsmediziner ist heute schon klar: Der Klimawandel wirkt sich auf die Gesundheit der Beschäftigten aus und stellt große Anforderungen an den Arbeitsschutz, weil die deutlich höheren Temperaturen und die verstärkte Sonneneinstrahlung den Körper extrem belasten. Unter diesen Bedingungen bricht die Leistung ein und es entstehen Fehler, weil die Hitze die Beschäftigten unkonzentriert, unproduktiv und krankmacht. Denn die hohen Temperaturen strapazieren Herz, Nieren und Gehirn. Die ersten Symptome: körperliche Erschöpfung, Schwindel, Übelkeit oder Kreislaufprobleme. Die Auswirkungen: Hitzestress, Dehydrierung, schlimmstenfalls sogar Hautkrebs durch zu viel UV-Strahlung. Besonders Personen, die körperlich schwer oder mit isolierender Schutzkleidung bei hohen Temperaturen arbeiten, sind davon betroffen.
Schaden für Haut und Augen
Neben Hitze, Trockenheit, Stürmen und Starkregen nimmt auch die UV-Bestrahlung zu. Betroffen davon sind Beschäftigte, die im Freien tätig sind. Sie setzen sich einer höheren Dosis an UV-Strahlen aus, was Haut und Augen schädigen kann. Die Folgen sind nicht nur Sonnenbrand, Sonnenstich und Bindehautentzündungen, sondern auch ein erhöhtes Risiko für bestimmte Formen des Hautkrebses einschließlich seiner Frühstadien wie eine aktinische Keratosen. Zudem kann die schlechtere Luftqualität Atemwegserkrankungen, Asthmaanfälle und andere Lungenerkrankungen verursachen.
Invasion von Mücken und Zecken
Der Klimawandel verschiebt auch die Lebensräume von Tieren und Pflanzen, die bislang in unserer Region nicht verbreitet waren. Sie siedeln sich aufgrund des Klimawandels und der globalen Mobilität von Menschen und Gütern in Westeuropa an, verändern das heimische Ökosystem und verursachen Schäden. Ein Beispiel ist die Asiatische Tigermücke. Ein Forscherteam am Hamburger Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin beschäftigt sich intensiv mit der exotischen Stechmücke, die 2007 erstmals in Deutschland entdeckt wurde. Sie ist nicht nur lästig wie die heimische Mücke, sondern auch hoch aggressiv und verbreitet Viren, die tropische Krankheiten wie das Dengue- und Gelbfieber hervorrufen. Auch die Populationen von Eichenprozessionsspinnern oder Riesenzecken, die Lyme-Borreliose-Bakterien übertragen und damit Gehirnentzündungen erzeugen können, wachsen in den letzten Jahren stetig an. Ebenso treten Allergien häufiger auf. Eine Ursache: Pflanzen und Bäume blühen bedingt durch die höheren Temperaturen länger, somit entsteht eine längere Blütesaison. (Wie Sie sich vor Pollen am Arbeitsplatz schützen können?) Die Folge: Es werden vermehrt Atemwegserkrankungen wie Heuschnupfen oder Asthma registriert, so eine aktuelle Studie der Europäischen Stiftung für Allergieforschung (ECARF).
Stress für junge und alte Menschen
Der Klimawandel belastet ebenso die menschliche Psyche: er löst indirekt Stress, Frust, ja sogar Hilflosigkeit aus. Dieses neue psychologische Phänomen wird in der Forschung als „Solastalgie“ bezeichnet, eine große emotionale Belastung infolge der Umweltveränderungen im eigenen Umfeld. Betroffen davon sind Menschen, die entweder jünger als 20 oder älter als 65 Jahre sind. Sie sind hilflos und ängstlich, weil sie nicht wissen, wie sie auf die Klimakrise und die veränderten Bedingungen reagieren sollen. Das kann sich langfristig auf die Betriebe auswirken, weil sie zukünftig mit einer Belegschaft rechnen müssen, die weniger widerstandsfähig und damit auch leistungsfähig ist. (Warum die Klimakrise unsere Seele krankmacht?)
Risikobewusstsein ist gering
Den aktuellen Wissenstand zum Thema „Klimawandel und Arbeitsschutz“ in den Betrieben hat die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) aufgearbeitet. Die Studie zeigt auf, dass vor allem bauliche Maßnahmen (Blendschutz, Begrünung von Fassaden und Freiflächen) sowie energieeffiziente Kühltechniken geeignet sind, um die Beschäftigten vor der sommerlichen Hitze zu schützen. Doch sind das Bewusstsein und der Wille dafür vorhanden, um das umzusetzen? „Die Liste der betroffenen Berufe ist lang und divers, das Risikobewusstsein in der Bevölkerung hingegen recht gering. Zudem werden Maßnahmen in der Praxis oft nicht ausreichend akzeptiert“, sagt Dr. Stefan Hussy, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV). Das bestätigt auch eine aktuelle Umfrage des Instituts für Arbeit und Gesundheit (IAG) der DGUV: Zwar sehen gut zwei Drittel der Beschäftigten Handlungsbedarf bei Hitze in Innenräumen und die Hälfte bei der Arbeit im Freien, aber erst 19,6 Prozent der Betriebe haben Maßnahmen dagegen ergriffen, 30,8 Prozent planen diese und 13,3 Prozent haben sie weder ergriffen noch geplant. Die restlichen Betriebe (36,3 Prozent) machten dazu überhaupt keine Angaben. „Die Erkenntnis ist da, aber an der Umsetzung von Maßnahmen fehlt es“, betont Dr. Peter Schiefen, Arbeitsmediziner der BGHW.
Infografik zum Ausdrucken
Download der Infografik „Aufgepasst bei Hitze und Sonne!“
Hallen dämmen und klimatisieren
So weit der Befund. Doch wie könnte eine Therapie aussehen? Wie können sich Beschäftigte und Betriebe vor den Folgen des Klimawandels schützen? Grundsätzlich fehlt es in Deutschland an einer systematischen Vorbereitung auf die nächste Hitzewelle. Es gibt kein Patentrezept, keine Leitlinien, keine Regeln. (Warum die Klimakrise eine Aufgabe für alle ist – das Exklusiv-Interview mit Bundesarbeitsminister Hubertus Heil) Doch jeder Betrieb sollte sich das Gefährdungspotenzial durch Hitze und UV-Strahlen bewusst machen und entsprechend reagieren, um die Gesundheit und Sicherheit seiner Beschäftigten zu schützen.
Aber welche Maßnahmen könnten mithilfe des TOP-Prinzips (Technik, Organisation, Person) bzw. des STOP-Prinzips (S für Substitution: Tätigkeiten in der Sonne vermeiden) umgesetzt werden? Ein vielfach unterschätztes Risiko ist das Überhitzen der Leichtbauhallen in Industrie und Gewerbe. In einem gemäßigten Klima reicht es, die Tore zu öffnen und Wind durchstreichen zu lassen. Das wird in Zukunft nicht reichen. (Mehr dazu im Expertengespräch) Die Hallen müssen gegen Wärme gedämmt und besser klimatisiert werden, was wiederum sehr teuer wird, wenn man den Strom nicht mithilfe einer eigenen Photovoltaik-Anlage produziert. Auch Außenjalousien oder Pflanzen können dabei helfen, die Hitze draußen zu halten und die Temperaturen in den Arbeitsräumen zu senken. Ebenso hilfreich ist eine kühlende Arbeitskleidung. Technisch sollten Maschinen und Geräte auf dem neuesten Stand sein, weil sie weniger Energie verbrauchen und weniger CO2 emittieren.
Flexibler arbeiten und Siesta machen
Bei den organisatorischen Maßnahmen könnten flexible Arbeitszeiten ein erster Schritt sein, also frühmorgens oder spätnachmittags schwere Arbeiten erledigen sowie die Pausen verlegen und anders nutzen – vielleicht für eine Siesta oder für einen Büroschlaf? Ebenso müssen Notfall- und Hitzepläne organisiert werden. Sinnvoll ist es auch Seminare anzubieten, um die Beschäftigten für das Thema zu sensibilisieren und Ersthelfer auf die neuen Herausforderungen vorzubereiten. „Für den Notfall sollten im Betrieb immer genügend Ersthelfer präsent sein, um bei Sonnenstich, Übelkeit oder Kreislaufbeschwerden Erste Hilfe zu leisten“, sagt Arbeitsmediziner Schiefen.
Viel trinken und dick eincremen
Und was können die Beschäftigten selbst tun, um sich vor der Hitze im Sommer zu schützen? „Trinken, trinken, trinken“, empfiehlt Dr. Schiefen, „mindestens zwei Liter täglich, bei schwerer Arbeit im Freien darf es sogar etwas mehr sein.“ Die Betriebe sollten daher an ihre Beschäftigten Wasser in Flaschen verteilen. Für jene, die draußen in der Sonne arbeiten, sind Hüte, Kappen, Sonnenbrillen und Sonnencremes unerlässlich. „Das ist ganz wichtig, um sich vor den intensiven UV-Strahlen zu schützen“, so der Arbeitsmediziner der BGHW. (Wie man sich vor UV-Strahlen schützen kann?)
Deutschland wird heißer
Ohne Wenn und Aber – diese persönlichen Schutzmaßnahmen sollten künftig im Arbeitsalltag angewendet werden. Denn die meisten Treibhausgase, die unser Klima beeinflussen werden, sind bereits ausgestoßen, und es wird bis Mitte des Jahrhunderts in Deutschland noch heißer. Klimaforscher vom Deutschen Wetterdienst prognostizieren, dass es 2050 in Deutschland zwischen 1,9 und 2,3 Grad Celsius wärmer sein wird als 1881, egal was wir tun. Das Klima in den nächsten Jahren und Jahrzehnten wird also gar nicht prima. Doch davor können wir uns schützen.