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Mit Interview

Klimarisiko Hitze

ca. 3 Minuten Lesezeit

Das Wichtigste im Überblick

  • Der Journalist Toralf Staud und der Arbeitswissenschaftler Dr. Thomas Alexander über
    die Herausforderungen des Klimawandels für den Arbeitsschutz
  • Hitze ist das meist unterschätzte Klimarisiko für die deutsche Wirtschaft.
  • Hitzeschutz muss schon bei der Planung von neuen Gebäuden beginnen.
  • Für Beschäftigte, die draußen arbeiten, müssen dringend Schutzmaßnahmen entwickelt werden.
  • Klimaschutzmaßnahmen können ein großer Vorteil im Wettbewerb um Talente sein.
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Sie ist gefährlich: die Hitze. Sie macht unproduktiv, unkonzentriert und aggressiv – und zwingt selbst gesunde Menschen in die Knie. Also was tun? Der Journalist Toralf Staud und der Arbeitswissenschaftler Dr. Thomas Alexander über die Herausforderungen des Klimawandels für den Arbeitsschutz.

Der Journalist Toralf Staud
Toralf Staud ist Journalist und Co-Autor des Buchs „Deutschland 2050. Wie der Klimawandel unser Leben verändern wird“.

Toralf Staud: Hallo, Herr Dr. Alexander. Schön, Sie kennenzulernen. Wir haben kurz nach 9 Uhr hier in Berlin schon 21 Grad, die Temperatur soll auf 30 Grad steigen. Wären Sie Unternehmer – was würden Sie tun, um Ihre Beschäftigten vor großer Hitze zu schützen?

Thomas Alexander: Die hohen Temperaturen dürften mich nicht überraschen. Sommerhitze ist schon seit Jahren ein Thema. Aufgrund einer Gefährdungsbeurteilung hätte ich solche Risiken bereits erkannt und Maßnahmen festgelegt, um meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am Arbeitsplatz zu schützen: Ich lüfte die Arbeitsräume in den frühen Morgenstunden oder gestalte die Arbeitszeiten so flexibel, dass die anstrengende und schwere Arbeit frühmorgens getätigt wird. Außerdem stelle ich meinen Beschäftigten ausreichend Getränke zur Verfügung. Als guter Arbeitgeber hätte ich mich über diese Konzepte hinreichend informiert. Im Idealfall hätte ich sogar einen Hitzeschutzplan aufgestellt. Wenn ich aber jetzt erst anfange, darüber nachzudenken, wird es schwierig.

Toralf Staud: Sie sagen zurecht dürfte und hätte. Ich habe den Eindruck, dass das Thema in den Unternehmen noch zu wenig präsent ist, obwohl Experten schon lange sagen: „Hitze ist das meist unterschätzte Klimarisiko für die deutsche Wirtschaft.“ Ein Beispiel sind die nicht isolierten Leichtbauhallen, die Standard in den Gewerbegebieten sind. Sie funktionieren im mitteleuropäischen Klima. Man öffnet im Sommer in den frühen Morgenstunden die Tore, damit die warme Luft abziehen kann. In Zukunft geht das nicht mehr. Wegen der häufigen Hitzewellen kühlt es nachts nicht mehr ab. Arbeiten wird in diesen Hallen über Wochen nicht mehr möglich sein. Man kann sie vielleicht mit einem hohen Energieaufwand runterkühlen. Aber das kann sich ein Mittelständler finanziell nicht leisten.

Thomas Alexander: In der Tat, der Hitzeschutz muss bei der Planung von neuen Gebäuden beginnen. Es müssen regenerative Energiequellen eingesetzt und nur noch die für das Tageslicht und zum Lüften notwendigen Fensterflächen eingeplant werden. Das löst aber nicht das Problem bei den Bestandsgebäuden. Die kann man nicht beliebig umrüsten. Und Klimaanlagen sind auch nicht immer die Lösung, weil sie zu viel Energie fressen.

Bei den hohen Temperaturen sind die Menschen unproduktiv, unkonzentriert und machen Fehler am Arbeitsplatz.

Dr. Thomas Alexander. Arbeitswissenschaftler der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin

Mit anderen Ländern austauschen

Porträt Arbeitswissenschaftler Dr. Thomas Alexander
Der Arbeitswissenschaftler Dr. Thomas Alexander ist Co-Autor der Studie „Klimawandel und Arbeitsschutz“.

Toralf Staud: Ich befürchte, es wird nicht anders gehen. Moderne Bürogebäude werden noch mit riesigen Fensterflächen geplant, damit Licht in die Büros kommt. Aber künftig muss im Hochsommer die Sonne draußen bleiben, was nur mit einer Verschattung von außen funktioniert. Das ist für Bestandsgebäude schwierig. Umso wichtiger ist es, dass die Dächer von Industriehallen oder die riesigen Flächen in den versiegelten und überhitzten Gewerbegebieten mit Photovoltaik-Anlagen nachgerüstet werden, um Solarstrom für die Kühlung zu erzeugen.

Thomas Alexander: Völlig richtig. Wir sollten zunächst technische Lösungen anstreben und dann erst organisatorische und personenbezogene. Das ist effektiver und nachhaltiger. Denn es ist ja nicht so, als würde nichts passieren. Bei den hohen Temperaturen sind die Menschen unproduktiv, unkonzentriert und machen Fehler am Arbeitsplatz. Unternehmerinnen und Unternehmer gehen also ein hohes Risiko ein, wenn sie im Betrieb nicht in technische Maßnahmen investieren.
Das haben die meisten erkannt.

Toralf Staud: Dennoch: Wir brauchen mehr Aufklärung und mehr Regeln für die Wirtschaft und für die Gesellschaft. Im Klima der Zukunft wird der Sommer eine mühsame Jahreszeit. 38 Grad an heißen Tagen – das ist lebensgefährlich – besonders für Risikogruppen wie Alte, Kranke, Kinder und Schwangere, aber auch für fitte Männer. In der Hitze geht irgendwann jeder Organismus in die Knie. Das ist in den Köpfen aber noch nicht angekommen.

Thomas Alexander: Da möchte ich Ihnen widersprechen. Wir haben in Deutschland schon gute Arbeitsschutzregelungen. Zum Beispiel das Arbeitsschutzgesetz oder die Arbeitsstättenverordnung, die technische Regeln enthält, wonach der Arbeitgeber ab einer Raumtemperatur von 26 Grad stufenweise Maßnahmen ergreifen muss. Diese technischen Regeln müssen Unternehmen einhalten. Wir sollten auch über den Tellerrand schauen und uns mit Ländern austauschen, die schon jahrelange Erfahrungen mit extremer Hitze haben.

Der Klimaschutz ist nicht teuer, der ungebremste Klimawandel ist teurer.

Toralf Staud, Journalist

Jeder kann am Arbeitsplatz etwas fürs Klima tun

Toralf Staud: In Asien gehen die Menschen in den Schatten, wenn die Sonne scheint. Was sollen bei uns Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wie Bagger-, Traktor- und Lkw-Fahrer machen? In der Hitze fahren die Menschen aggressiver, unvorsichtiger und unkonzentrierter. Oder was soll ein Dachdecker machen, wenn im Sommer die Dachpappe brodelt und 60 bis 70 Grad Hitze abstrahlt?

Thomas Alexander: Ein brisantes Thema, das viele betrifft. Bauarbeiter, Dachdecker oder Erntehelfer leiden unter der Sommerhitze und der erhöhten UV-Strahlung. Es gibt nicht überall Schatten, man kann nicht überall Sonnensegel aufstellen. Selbst flexible Arbeitszeiten lösen nicht alle Probleme, Sonnenscheindauer und die Expositionsdauer der UV-Strahlen steigen weiter an. Wir müssen für diese Branchen dringend Schutzmaßnahmen entwickeln, die Hand und Fuß haben, und den Beschäftigten deutlich sagen: „Arbeitet im Sommer nicht mit blankem Oberkörper. Das ist nicht gut. Tragt ein Shirt, eine Sonnenbrille, eine Kopfbedeckung und benutzt ausreichend UV-Schutzcreme, um euch vor übermäßiger Sonneneinstrahlung zu schützen.“  

Toralf Staud: Schutzkleidung ist ein gutes Stichwort. Wir müssen alles überdenken, um uns dem Klimawandel anzupassen, weil er nicht mehr ganz zu stoppen ist. Genauso klar ist: Der Klimaschutz ist nicht teuer, der ungebremste Klimawandel ist teurer. Schauen wir ins Ahrtal. Da ist in einer Nacht ein Schaden von 30 Milliarden Euro entstanden. Bei einem ungebremsten Klimawandel werden hohe Schäden zur Normalität.

Thomas Alexander: Es gibt für mich Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz noch einen weiteren Aspekt, warum ein Unternehmen sich auf den Klimawandel vorbereiten sollte – und zwar den Fachkräftemangel. Ein Unternehmen, das klar kommuniziert: „Wir nehmen den Klimawandel ernst und schützen unsere Beschäftigten davor“, wird von der jüngeren Generation positiv wahrgenommen. Das ist ein großer Vorteil im Wettbewerb um Talente. Sehen Sie das auch so?

Toralf Staud: Es ist enorm wichtig, den Klimawandel zum Thema im Betrieb zu machen, denn er verändert unser Leben. Firmeninhaber, Führungskräfte und Beschäftigte sollten miteinander darüber diskutieren, wie sie gemeinsam das Team stabiler und sicherer für die heißen und ungemütlichen Jahre machen wollen. Denn „every job is a climate job“ – jeder kann an seinem Arbeitsplatz im Kleinen wie im Großen etwas fürs Klima tun und sich so vor den Folgen des Klimawandels schützen.

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Download: Die BAuA-Studie "Klimawandel und Arbeitsschutz"

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