Das Wichtigste im Überblick
- An Spitzensportler werden hohe Anforderungen gestellt. Nicht selten stellen sich nach Wettbewerben Erschöpfungssymptome ein.
- Auch am Arbeitsplatz können solche Anforderungsspitzen entstehen und mitunter auch lange oder dauerhaft anhalten. Auch hier kann das zu Erschöpfung und anderen negativen Beanspruchungsfolgen führen.
- Trainer wie auch Führungskräfte spielen bei der Gestaltung der Anforderungen eine zentrale Rolle. Denn gute Führung ist entscheidend für die Sicherheit und Gesundheit vonSportlern wie von Mitarbeitenden. Sie müssen sich auf ihre Sportler beziehungsweise Mitarbeitenden einstellen und nicht nur umgekehrt.
- Doch natürlich gibt es auch individuelle Ansatzpunkte, um Anforderungen besser zu bewältigen.
- Ein Expertengespräch mit der Arbeitspsychologin Dr. Marlen Cosmar und dem Mentalcoach Markus Hornig.
Spitzensportler stehen permanent unter psychischer Belastung. Wie gehen sie damit um? Was können Beschäftigte von ihnen lernen, und was müssen Führungskräfte tun? Ein Expertengespräch mit der Arbeitspsychologin Dr. Marlen Cosmar und dem Mentalcoach Markus Hornig.
Marlen Cosmar: Schön, Sie kennenzulernen, Herr Hornig. Ich habe eine Frage an Sie: Ich hörte bei den Olympischen Spielen in Paris immer wieder von der sogenannten Post-Olympia-Depression. Demnach fallen manche Leistungssportler nach diesem großen Sportevent in ein psychisches Loch. Woran liegt das?
Markus Hornig: Olympische Spiele haben einen besonders hohen Stellenwert im Leben der Sportler. Sie wissen nicht, ob sie in vier Jahren wieder dabei sein werden. Diese einmalige Chance erzeugt enormen Druck. Eine Antwort auf Ihre Frage ist aber nicht einfach. Es ist ein komplexes Geschehen. Zum einen ist nach den Spielen der Druck plötzlich weg. Man hat keinen Tagesplan mehr, wacht auf und weiß nicht, was man machen soll. Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass man plötzlich allein ist. Sportler können mit niemandem über ihre psychischen Probleme sprechen. Es gibt berühmte Ausnahmen wie den Schwimmer Michael Phelps oder die Turnerin Simone Biles, die öffentlich gemacht haben, dass sie psychisch und mental ausgepowert sind und eine Pause brauchen. Dazu gibt es das Phänomen, dass sich Spitzensportler über einen Sieg gar nicht lange freuen können. Sie feiern vielleicht einen Tag, dann denken sie wieder an den nächsten Wettkampf. Das nennt man High Performance Circle. Der Erfolg motiviert sofort, nach dem Nächsthöheren zu streben. Das ist wichtig, damit der Mensch sich weiterentwickelt
Marlen Cosmar: Das lässt sich auch auf die Arbeitswelt übertragen. Bei singulären Projekten mit hohem Zeitdruck kann ebenfalls ein High Performance Circle entstehen, besonders wenn sie unter hohem Zeitdruck umgesetzt werden müssen. Aber auch wenn mehrere Aufgaben parallel unter hohem Druck bearbeitet werden müssen, können Sicherheit und Gesundheit gefährdet werden. Dagegen kann man präventiv viel machen. Wichtig ist eine sichere und gesunde Arbeitsgestaltung auch in Abstimmung mit den Beschäftigten. Das schreibt das Arbeitsschutzgesetz auch mit Blick auf psychische Gestaltungsaspekte beziehungsweise Belastung vor. Hier geht es um die Organisation und die Inhalte der Arbeit sowie die Umgebung und die Arbeitsmittel. Sehr wichtig sind ebenfalls soziale Faktoren wie Führung und der Umgang mit Konflikten bei der Arbeit. Natürlich gibt es auch individuelle Ansatzpunkte, abhängig von den persönlichen Voraussetzungen. Manche Menschen sind schneller gestresst, weil sie ängstlicher sind oder weniger Selbstbewusstsein haben als andere. Perfektionismus kann auch eine Rolle spielen. Hier können Trainingsangebote oder auch Coaching weiterhelfen. Und auch das Gespräch mit Kollegen und Führungskräften kann hilfreich sein, um eigenes Verhalten zu reflektieren und Schritt für Schritt auch zu ändern.
Markus Hornig: Sie haben völlig recht. Es hängt viel von der Persönlichkeit ab. Menschen mit wenig Selbstvertrauen oder geringer Selbstwirksamkeit reagieren anfälliger auf psychische Belastung als andere. Deswegen ist das Thema Achtsamkeit im Sport so wichtig geworden, weil man erkannt hat, dass man durch Achtsamkeitstrainings Druck und Versagensängste gut unter Kontrolle bringen kann sowie Ruhe und Ordnung im Kopf schafft. Unser Gehirn ist von Natur aus negativ ausgerichtet, das heißt, es war für unser Überleben in der Urzeit absolut sinnvoll, sich Sorgen zu machen und zunächst einmal mit dem Schlimmsten zu rechnen, um dann im Worst Case entsprechend vorbereitet zu sein. Im Sport ist dieser mentale „Bedrohungs-Modus“ jedoch kontraproduktiv, weil das Gehirn nur dann Spitzenleistungen erbringen kann – im Sport genauso wie am Schreibtisch – wenn es sich in einem Herausforderungsmodus befindet. Durch Achtsamkeitsübungen kann man lernen, im Hier und Jetzt zu bleiben und Bedrohungsszenarien zu vermeiden.
Marlen Cosmar: Das gilt auch für die Arbeitswelt. Das funktioniert aber nur bis zu einem gewissen Grad an Belastung. Man kann mit Achtsamkeit nicht alles schaffen. Daher ist eine sichere und gesunde Arbeitsgestaltung ebenso wichtig. Mit Blick auf Depressionen zeigen wissenschaftliche Studien übrigens, dass Achtsamkeitstrainings genauso wirksam sind wie Antidepressiva. Ideal ist es natürlich, wenn man Achtsamkeitstechniken schon nutzt, ehe Erschöpfung oder sogar Depression eintritt.
Markus Hornig: Ein weiterer wichtiger Punkt ist die intrinsische Motivation. Es gibt erfolgreiche Sportler, die nicht unbedingt aus tiefster Leidenschaft dabei sind, sondern um Anerkennung von außen zu bekommen. Das kann langfristig zu psychischen Problemen führen. Deswegen ist ein Ausgleich zur sportlichen Belastung sehr wichtig. Ein Beispiel: Mindestens drei Viertel der deutschen Hockey-Nationalspieler studieren zusätzlich Medizin, Jura und vieles mehr. Ich bin ein großer Verfechter davon, dass man nicht nur Sport macht. Mehr als 20 bis 25 Stunden pro Woche kann ich nicht trainieren, das gibt der Körper nicht her. Aber was mache ich in der restlichen Zeit? Wenn ich etwas finde, das mich fordert und gleichzeitig befriedigt, schaffe ich einen guten Ausgleich zu den psychischen Belastungen im Sport.
Marlen Cosmar: Auch in der Arbeitswelt ist es wichtig, dass die Arbeit und die Anerkennung dort nicht der einzige Lebensinhalt sind. Ein gesunder Ausgleich in der Freizeit und die Möglichkeit, auch dort Erfüllung zu finden, sind entscheidend. Bedeutsam ist auch, dass Arbeit intrinsisch motiviert. Das kann neben den Arbeitsinhalten selbst durch Partizipation, die Beteiligung der Mitarbeitenden in der Planung und Bewertung der Arbeitsschritte geschehen. Es ist außerdem wichtig, dass Beschäftigte Handlungsspielräume haben und selbst entscheiden können, welche Aufgaben sie wann machen. Nicht zuletzt ist auch eine wertschätzende Führung dabei entscheidend.
Markus Hornig: In der Tat: Führungskräfte spielen eine zentrale Rolle. Sie müssen für ein positives Betriebsklima sorgen und ihre Mitarbeiter wertschätzen. Das schafft Vertrauen und Motivation. In meinen Workshops stelle ich oft die Frage: Was ist der Unterschied zwischen Ihnen als Führungskraft und Jürgen Klopp? Die meisten wissen es nicht. Jürgen Klopp schießt keine Tore, er spielt nicht mit, sondern kümmert sich nur um seine Leute, damit sie am Samstag ihr Spiel gewinnen. Das verdeutlicht den Unterschied zwischen Führung und Management. Management befasst sich mit strategischen Aspekten wie Ziele, Prozesse und Ressourcen. Führung hingegen konzentriert sich auf das Soziale: Wie schaffe ich es, dass meine Mitarbeitenden Lust auf ihre Aufgaben haben? Geld ist nicht der Hauptmotivator. Im Gegenteil. Motivierte Mitarbeitende wollen lernen und ihre Leistung zeigen.
Marlen Cosmar: Genau, und das ist oft das Problem. Viele Führungskräfte kommen aus Fachkarrieren und haben wenig Führungskompetenz. So fehlt dann mitunter das Bewusstsein, dass gute Führung entscheidend für die Sicherheit und Gesundheit der Mitarbeitenden ist. Zum Beispiel können manche Führungskräfte nicht akzeptieren, wenn ein Teammitglied etwas besser weiß als sie. Oder Informationen werden nicht weitergegeben und damit Unsicherheit unter den Mitarbeitenden erzeugt. Gesundheitsförderlicher und auch motivierender ist es, wenn Führungskräfte genau überlegen, was ihre Mitarbeitenden brauchen, um ihre Aufträge möglichst gut auszuführen.
Markus Hornig: Vertrauen ist der Schlüssel. Führungskräfte müssen sich auf ihre Mitarbeitenden einstellen und nicht umgekehrt. Nur so kann eine Kultur des Vertrauens und der Leistung entstehen. Führung bedeutet, sich die Frage zu stellen: Was brauchen Menschen, damit sie Lust auf Leistung bekommen? Das heißt, ich muss die Menschen kennen. Das ist die große Stärke von Pep Guardiola, Ottmar Hitzfeld oder Jürgen Klopp. Sie wissen nicht mehr über Fußball als andere, aber sie wissen, wie sie ihre Leute anpacken müssen. Sie stellen sich auf den Menschen ein und beschäftigen sich mit ihm. Das erfordert viel Einfühlungsvermögen, viel Empathie und das Verständnis, dass das zu meinem Job als Führungskraft gehört.
Marlen Cosmar: Ja, dieser eher situative Ansatz fällt nicht allen Führungskräften leicht, ist aber sehr wirksam. Führungskräfte haben aber natürlich auch die Aufgabe, Arbeit so zu organisieren, dass sie erst einmal generell gut machbar ist und Beschäftigte nicht über- oder unterfordert. Das ist nicht nur eine individuelle Frage, sondern hierfür muss das Arbeitssystem als ganzes betrachtet werden. Hier geht es um eine optimale Gestaltung psychischer Anforderungen. Da sind Führungskräfte entscheidend.
Markus Hornig: Letztlich geht es darum, dass Menschen sich wohlfühlen und ihre Arbeit gern machen. Das schafft nicht nur ein besseres Arbeitsklima, sondern führt auch zu besseren Leistungen wie im Leistungssport. [sie]