Das Wichtigste im Überblick
- Ordnung und Sauberkeit im Betrieb hängen eng mit Sicherheit zusammen.
- Ein aufgeräumter Arbeitsplatz braucht Zeit. Führungskräfte müssen dafür Raum und Zeit geben – in der bezahlten Arbeitszeit.
- Unternehmen müssen in Vorleistung gehen. Aber der Return of Prevention lohnt sich: Für jeden Euro, den man in Prävention steckt, kommen etwa zwei Euro zurück.
- Checkbox „Voraussetzungen für Ordnung und Sauberkeit“
- Die japanische 5S-Methode – eine Möglichkeit, den Arbeitsprozess zu betrachten, um für Ordnung und Sauberkeit zu sorgen.
Wie halten Unternehmen es mit Ordnung und Sauberkeit? Ist ihnen ihre Bedeutung für ein sicheres Arbeitsumfeld bewusst? Die Wirtschaftspsychologin, Trainerin und Coach Anika Schwertfeger sowie Dr. Christoph Wetzel, BGHW-Experte für Sturzunfälle, tauschen sich dazu aus.
Anika Schwertfeger: Auf mich kommen ganz unterschiedliche Unternehmen zu, die das Thema Ordnung im Betrieb angehen wollen. Aktuell sehr große Unternehmen, die ihr Arbeitsplatzkonzept verändern. Aber auch kleine, wie zum Beispiel Arztpraxen. Der Fokus liegt selten auf der Sicherheit. Dabei hängen Ordnung und Sicherheit eng zusammen. Denn anhand der Ordnung im Betrieb erkennen wir, wie ernst Sicherheit genommen wird.
Dr. Christoph Wetzel: Wir von der BGHW gehen natürlich genau mit diesem Blick in die Betriebe. Und da sehen wir alles: von sehr aufgeräumt bis unordentlich. Wobei Ordnung halten auch nicht immer leicht ist. Wenn im Einzelhandel beispielsweise Aktionsware kommt, können die Stellflächen und Lagerkapazitäten schnell ausgeschöpft sein. Ich glaube schon, dass viele Betriebe das Ordnunghalten im Blick haben und das auch anweisen. Die Frage ist nur: Können die Leute das umsetzen?
Ein aufgeräumter Arbeitsplatz braucht Zeit
Anika Schwertfeger: Das Problem ist doch: Es wird angewiesen, aber die Beschäftigten bekommen gar nicht das Wie an die Hand gegeben. Ein großer Faktor ist die Zeit. Die meisten, mit denen ich spreche, sagen mir: Natürlich hätte ich hier gern mehr Ordnung und eine aufgeräumte Fläche. Aber mir wird dafür keine Zeit eingeräumt. Und das ist Aufgabe der Führungskraft, Zeit und Raum dafür zu geben.
Dr. Christoph Wetzel: Dabei geht es nicht nur um das einmalige Gestalten des Arbeitsplatzes, sondern auch um das Alltägliche. Bei einer Lagerbesichtigung habe ich mal erlebt, wie schnell die Mitarbeitenden herumgefahren sind, weil sie nach Picks bezahlt wurden – bekamen aber kein Geld dafür, etwas aufzuheben und sauber zu machen, wenn ihnen etwas heruntergefallen war. Überall lag etwas herum. Die Leute müssen die Zeit haben, dies in der bezahlten Arbeitszeit zu erledigen.
Anika Schwertfeger: Spannend finde ich auch, welche Rolle Stress in diesem Zusammenhang spielt. Ist es tatsächlich nur der physische Gegenstand, der im Weg liegt und zu einem Unfall führt? Oder müssten wir bei der Prävention einbeziehen, dass unordentliche Räume zu Stress führen? Dieser Stress hat wiederum zur Folge, dass Mitarbeitende unkonzentrierter sind, weniger darauf achten, wo sie hinlaufen und wie sie nach Gegenständen greifen.
Dr. Christoph Wetzel: Bei unserer großen Untersuchung von Sturzunfällen haben einige Verunfallte in den Unfallberichten angegeben, dass sie in Eile und hektisch waren. Wir arbeiten momentan an einer systematischen Checkliste, um künftig die Informationen zu erfassen, die wir für eine genaue Unfalluntersuchung benötigen. Zum Beispiel: Welche Schuhe hat der Verunfallte getragen? Wie war die Beleuchtung? War die Person in Eile? Was sich gezeigt hat: Es ist oft das Plötzliche, das Unerwartete, das zu einem Unfall und einem schlimmen Sturz führt. Es sind die Gegenstände, die herumliegen, oder verschüttete
Flüssigkeiten – weniger die Kanten oder Defekte im Fußboden, die die Beschäftigten kennen.
Für saubere Arbeitsplätze müssen Unternehmen in Vorleistung gehen
Anika Schwertfeger: Häufig sind Ordnung und Sauberkeit auch eine Kostenfrage. Ich finde, viele Unternehmen denken zu kurzfristig. Sie verstehen nicht, dass sie in Vorleistung treten müssen: Indem sie zu diesem Thema Bildung anbieten und dafür vielleicht auch Geld in die Hand nehmen. Was sie durch diese Vorleistung gewinnen, ist viel mehr, und das versuche ich zu vermitteln. Ich gewinne weniger Unfälle, ich gewinne Zeit, weil produktiver gearbeitet wird, und ich gewinne eine langfristige Ordnung. Ziel ist ja, dass die Ordnung bleibt und dass das kleine, regelmäßige Aufräumen jeden Tag in Fleisch und Blut übergeht.
Dr. Christoph Wetzel: Im Arbeitsschutz sprechen wir auch vom Return on Prevention. Was bekomme ich als Unternehmerin oder Unternehmer für jeden Euro zurück, den ich für Prävention ausgebe? Für jeden Euro, den man reinsteckt, kommen etwa zwei zurück. Es lohnt sich also. Bei uns schlagen viele Sturzunfälle auf, da ließe sich viel sparen.
Routinen sind entscheidend
Anika Schwertfeger: Außerdem haben Führungskräfte eine wichtige Vorbildfunktion. Ich sage meinen Auftraggebern immer: Wenn ihr nicht das Vorbild seid, dann funktioniert das nicht. Es sollte im Unternehmen auch jemand für dieses Thema den Hut aufhaben. Ich vergleiche das mit der Familie; auch da muss es jemanden geben, der den Hut aufhat. Sonst gibt es eine Verantwortungsdiffusion, und man verliert sich. Man kann die Rollen auch tauschen, wenn es keine feste Stelle dafür gibt. Aber es braucht einen Ansprechpartner oder eine Ansprechpartnerin, und einer muss darauf achten, dass regelmäßig für Sauberkeit gesorgt wird, dass Routinen eingehalten werden.
Dr. Christoph Wetzel: Ich weiß nicht, ob es eine speziell beauftragte Person für das Thema geben muss. Im Arbeitsschutz haben wir bereits festgelegte Zuständigkeiten. Die Führungskräfte müssen es einfordern und vorleben. Und wir haben die Sicherheitsbeauftragten, die dabei unterstützen, in ihrem Arbeitsbereich auf Ordnung zu achten.
Anika Schwertfeger: Was ich auch bei meinen Trainings erlebe: Die Beschäftigten haben selbst viele Lösungsansätze. Sie werden aber oft nicht erkannt, weil man den Mitarbeitenden nicht zuhört oder sie nicht fragt. Sie einzubeziehen ist wichtig.
Dr. Christoph Wetzel: Unbedingt! Unsere Aufsichtspersonen bekommen gute Informationen von den Mitarbeitenden, wenn die bereit sind, mit ihnen zu sprechen. Die Beschäftigten wissen in der Regel genau, wo beispielsweise scharfe Kanten und Stolperstellen sind, und können viel zur Verbesserung der Abläufe beitragen. Deshalb plädiere ich auf jeden Fall für ein Miteinander von Führungskräften und Beschäftigten.
Anika Schwertfeger: Und gerade die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die neu in einem Betrieb sind, sind in der Regel offen für neue Lösungswege. Je länger die Betriebszugehörigkeit, desto fester sind dagegen meist die Routinen.
Dr. Christoph Wetzel: Oh ja, ganz nach dem Motto: ‚Das haben wir schon immer so gemacht.‘
Anika Schwertfeger: Ich bringe daher gern Leichtigkeit in das Thema. Was am besten wirkt, ist die Aktion selbst. Nicht viel reden, sondern tun, um schnell einen Vorher-nachher-Effekt hinzubekommen.
Die 5S-Methode
Die 5S-Methode stammt ursprünglich aus japanischen Produktionsprozessen. Die Idee: in fünf Schritten Ordnung und eine bessere Struktur im Betrieb schaffen.
- Sortieren
- Systematisieren
- Saubermachen
- Standardisieren
- Selbstdisziplinieren
Ein aufgeräumtes Lager, eine aufgeräumte Werkstatt und eine aufgeräumte Verkaufsfläche bedeuten gleichzeitig effizienter arbeiten, ergonomischer arbeiten und sicherer arbeiten.